Die sieben Täler der Meditation
von Ramakrishna: aus dem Buch, S. 248 ff, von Romain Rollan: Das Leben des Ramakrishna, Rotapfel Verlag Zürich.
"... Ich betete ganze Tage, Wochen, Monate... Zuletzt schwang sich mein Geist hinaus über den Uferdamm dieser Welt in die Wasser des Ersten der sieben Täler. Ein unbekanntes Licht, wie eine andere Sonne, leuchtete auf allem, was ich erblickte. Alle Dinge der Erde, auf denen meine Augen ruhten, waren in Schönheit gekleidet. Wohin ich auch schaute, brach Schönheit und Seelenfülle aus der Materie hervor, wie Tiger von ihrem Lager. Der Anblick so vieler Wunderdinge erfüllte mich mit ungeheuren Begierden. - Besitze! Besitze!' riefen sie mir zu... Ich wurde von heftigem Verlangen erfaßt, alle Schönheit ringsum zu kosten, zu betasten . . . In diesem Augenblicke erhob sich in mir ein anderer Schrei: Hüte dich! Hüte dich vor der unheilbringenden Versuchung dieses Tales!
Lebendiger meditierte ich. Glutvoll betete ich um Befreiung aus den Fallstricken dieses Tales. Nach einigen Monaten hatte die Welt der Sinne keine Versuchung mehr für mich. Langsam entsank das Erste Tal meinem Bewußtsein, wie das Gerippe des Beutetiers den Fängen des Adlers...
Ich betrat das Zweite Tal. Hier wurde ich nicht mehr bis zur Besessenheit von der stofflichen Pracht des Gesehenen gepackt. Das Licht, welches die Welt einhüllte, war jetzt feiner, zarter und beruhigender. Hier fühlte ich mich glücklich. Teile von schönen Formen, schönen Schattierungen, schönen Klängen verfolgten mich sachte. Ich fasste den Entschluss, meine Meditation zu entspannen und hier zu verweilen. Aber da trat mich die Versuchung an, Leben zu schaffen... Das Geschlecht... Im erhabenen Schimmer dieses Zweiten Tales erscheinen diese Dinge als Seligkeit und Macht. Allein die Seele soll dieser Versuchung widerstehen. Mein Bewußtsein mühte sich, den Ansturm dieser Schönheit zurückzuschlagen... Das Feuer der Erleuchtung war zuerst kaum ein Glimmen. Nach und nach bekam es mehr Glanz. Nach einigen Tagen erschienen schon Schwertklingen von Licht. Und diese heißen Flammen verzehrten das Zweite Tal...
So erreichte ich das dritte Wegstück. In diesem Dritten Tal fand sich das Machtbewußtsein des Zweiten Tales verhundertfacht. Mir war es, als könnte ich die Sonne zwischen meinen flachen Händen zu einem Häuflein brennender Asche zerdrücken. Dieser Versuchung muß man Widerstand leisten: Sie ist der Prüfstein des Charakters. Keine Versuchung ist so hässlich wie jenes Machtgefühl... Ich entfachte das Feuer meiner Meditation... Wie die Kiefer einer Giftschlange hielt mich jene Wahnidee immer noch gepackt. Allein meine Seele wollte ihr nicht erliegen. Ich erhob mich höher, noch höher auf den Schwingen der Meditation... Und die Schlange tat den Rachen auf und lies mich los. Wie ein Elefant, der durch eine Hürde bricht, stürzte ich mich da in das Vierte Tal: ins Licht vom Herzen Gottes... Als wäre meine Seele eine Fackel, an Gottes Flamme entzündet, rieselte Licht von ihr auf alle Dinge. Steine und Sterne sangen mit gleicher Inbrunst das Hohe Lied vom Unsagbaren. In diesem Vierten Tale fühlte ich mich fast jeglicher Versuchung entrückt. Dennoch blieb ich sehr auf meiner Hut. Ich beschloss, hier nicht zu verweilen... Die Folgezeit verbrachte ich mit Fasten, Gebet und Meditation...
Ich brauchte nicht lange zu warten. Das Licht meines Herzens weitete sich aus. In riesigem Umkreis spannte es gleichsam ein Netz von Sonne aus . . . Und damit hatte ich das Tal des Ausdrucks erreicht! Meine Gefühle und meine Gedanken, jede Zelle meines Wesens, jeder meiner Pulsschläge waren durchleuchtet, meiner Kehle entströmten Worte freudigen Staunens und Segenssprüche. Unablässig pries ich den Herrn. Und sprach mir jemand von Genießen und Besitzen, trafen mich seine Worte wie Rutenstreiche. Das ging so weit, daß, als eines Tages ein Verwandter in Fragen des Familienbesitzes meinen Rat verlangte, ich entfloh und mich im Wald (Haine Panchavati) verbarg. Die Freunde, die meiner habhaft zu werden suchten, kamen mir vor wie Brunnenschächte, in die man mich bei den Füßen hineinzerren wollte. Nur nicht in düsterem Schacht ersticken!... Nur indem ich sie verließ, konnte ich Frieden finden. Kurz, dieses Tal ist nicht eben reich an Duldsamkeit und Liebe zu allen. Man muß darüber hinaus...
So stürzte ich mich in verwegenere Meditationen... In meinen Gebeten glich ich dem sprungbereiten Tiger... Mit einem Male erblickte ich eine Form vor mir. Ich sprang darauf los...
Mit einem Satze war ich im Sechsten Tale (im Tale Turiya.) Dort war ich ganz nahe beim Inniggeliebten. Ich konnte ihn im Nebenraume sehen und hören. Nur eine dünne, durchscheinende Wand trennte die Seele vom Selbst... Endlich wusste ich mich im Hause der Einheit...Doch es blieb noch ein wenig Ichbewusstsein. Tag und Nacht war ich Zeuge der göttlichen Äußerungen. Ich sah, daß Eine Substanz die Gestalt des Kosmos mit allen Geschöpfen angenommen hatte. So glich das All einem wächsernen Haus mit Menschen Tieren, Gärten, wegen und was dazu gehört, alles aus Wachs gebildet und nur aus Wachs! So sah ich klar, daß das Absolute alles wurde, was uns umgibt und geriet außer mir vor Freude.
Vom Sechsten Tale gelangt man unschwer in das Siebente. Hier hat kein Wort Zutritt noch das Geschwätz des menschlichen Denkens. Bloß die in Schweigen gekleidete Seele darf den Schleier heben, der noch hindert, Ihn, ja, Ihn zu umfangen." Hier erfüllte sich meine Sehnsucht, die das Ziel aller Liebe ist, die Vereinigung. In restloser Hingabe verging mein Ich im Geliebten, meine Persönlichkeit wurde ausgelöscht und das Weltall versank. GOTT allein ist, jenseits von Sein und Nichtsein, jenseits von Lust und Leid, jenseits von Licht und Finsternis. Menschliche Sprache vermag das nicht zu beschreiben.